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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Geschichte des Horizonts

 

Der Terminus Horizont1 entstammt der antiken Astronomie. Der Horizont spielt in der jüdischen und christlichen Philosophie des Mittelalters eine Rolle, er taucht auf in den Feldern der Schöpfungslehre, der Mystik, der philosophischen Psychologie, der Anthropologie und in der Staatslehre. In der Neuzeit nimmt er erkenntnistheoretische Bedeutung an.

Im 13. Jahrhundert findet der Terminus bei Wilhelm von Auvergne ein erstes erkenntniskritisches Moment. Der Horizont wird beschrieben als ein Kreis, der zwei Hemisphären teilt. Eine davon ist dem Blick notwendig entzogen. Deshalb setzt der Horizont der Sicht eine Grenze.

Thomas von Aquin gibt dem Terminus eine anthropologische Bedeutung. Er begreift den Menschen als Horizont. Da der Mensch aus geistiger und körperlicher Natur besteht, hat er gewissermaßen die Grenze beider Naturen inne. Die Definition des Menschen als Horizont begründet seine Sonderstellung gegenüber der reinen Vernunft und gegenüber dem Tier. Dante knüpft an Thomas von Aquin an: "Unter allem was ist hat allein der Mensch die Mitte zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen inne; deswegen wird er von den Philosophen zu Recht mit dem H[orizont] verglichen, der die Mitte der zwei Hemisphären ist".2

In der Neuzeit wird der Horizont der metaphysisch-anthropologischen Bedeutung entkleidet und zunächst wieder ganz auf das Gebiet der Astronomie und Geographie beschränkt. Die astronomische Bedeutung bestimmt den Sprachgebrauch so stark, daß Baumgarten, Kant und noch Krugs Lexikon von 1833 die abstrakte Bedeutung als Übertragung eines konkreten Begriffs auf den geistigen Gesichtskreis verstehen. Die neuzeitliche Verwendung knüpft weniger an den philosophischen Gebrauch des Terminus' im Mittelalter an, sondern erscheint als Resultat einer zweiten, eigenständigen Übernahme aus der Astronomie. An die Stelle der metaphysischen Bedeutung tritt als wichtigstes Anwendungsgebiet die Erkenntnistheorie. Es ändert sich die anthropologische Bedeutung: Der Horizont dient nicht mehr dazu, "dem Menschen seinen Platz in einem geordneten Kosmos gleichsam von außen anzuweisen, sondern wird zur Selbstbestimmung seines Erkenntnis- und Wirkungsbereiches verwendet."3 Im Vordergrund der neuzeitlichen Anthropologie steht nicht mehr die Wesensbestimmung des Menschen, sondern die Frage nach seinen Möglichkeiten: "Der Mensch ist nicht mehr, sondern hat einen H[orizont], den er durch Reflexion auf das eigene Bewußtsein selbst bestimmt."4

 


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 1 Abgeleitet vom griechischen horizein = abgrenzen, scheiden. Ursprünglich wurde der Begriff wohl für 'der den Blick begrenzende Gesichtskreis' gebraucht.

2 Dante, zit. nach: Hinske, 1974, S. 1192.

3 Engfer, 1974, S. 1195.

4 Engfer, 1974, S. 1195.


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