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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Darstellung des panoramatischen Blicks im Panorama

 

Der panoramatische Blick, der seinen Ausgang nahm im Versuch der Beherrschung und Vereinnahmung fremden Terrains, wird in der historischen Erscheinung 'Panorama' inszeniert. Im Modell wird die überblickshafte Beherrschung der Landschaft, für die der Horizont das nachhaltigste Zeichen ist, nachgebaut. Im Panorama werden die zum Erlebnis des Horizonts notwendigen Elemente konstruiert: "Da ist die Plattform, die man von unten erreicht ... von hier hat man den freien und ungehemmten Blick auf den Horizont, der durch die Leinwand nachgebaut ist. So wird, wie in einer physikalischen Versuchsanordnung, die Erfahrung des Horizonts permanent und für jedermann nachvollziehbar parat gehalten."1 Die gedachte, zeichenhafte Linie des Horizonts wird als wirkliche Grenze des Blicks im Panorama hergestellt. "Das Panorama ist die Schnittstelle zwischen Supervision (der bloß vorstellbaren und gedanklich repräsentierbaren Totalität) und der Miniaturisierung (der modellhaften Reduktion einer Totalitätserfassung). Was das Panorama als historische Bildgattung so interessant macht, ist diese Gleichzeitigkeit von Ausweitung und Reduktion, ... von intendierter Ansicht des Ganzen und faktischer Beschränkung auf den geschlossenen Horizont."2 Das Panorama "vermittelt dem Betrachter die Möglichkeit, zugleich Bestandteil eines Gesamtzusammenhangs zu sein in je notwendig beschränkten Welten, diese Welt aber gleichzeitig von außen betrachten zu können, als bilde er sie durch seinen Blick erst selbst. Die Bildgattung Panorama bietet dem panoramatischen Blick die Bestätigung, daß jede Totalität durch ihre Wahrnehmung konstituiert wird und daß dieser wahrnehmende Blick gleichzeitig nur so lange aufrechterhalten werden kann, wie er auf sich selbst zurückführt."3 Der panoramatische Blick ist in einer Weise konstruiert (d.h. er basiert auf Wissensstrukturen), wie das Gemälde im Panorama auf einer konstruktiven Basis beruht. In solch konstruierter und deshalb reduzierter Anschauung fußt die Vereinnahmung der Dinge. "Die Anschauung kann deswegen über die Gegenstände verfügen, weil sie sieht, was sie immer schon weiß."4

Die der Verfügbarkeit implizite Beschränkung ist im Panorama real gebaut durch eine Form der Inszenierung, die den Betrachter vollkommen umgibt (Abb. 15). Das Panorama bietet scheinbar den freiesten Blick auf unverstellte Landschaft, gleichzeitig umstellt es den Betrachter vollkommener als alle anderen Versuche bildlicher Wiedergabe von Landschaft zuvor. Das Panorama ist "ein vollkommener Kerker des Blicks. Nirgends kann er über einen Rahmen hinausschweifen, weil es keinen Rahmen gibt... Und ebenso unentrinnbar ist die Natur dem panoramatischen Blick, wie er in den Rundgemälden geübt wird, ausgeliefert."5

Das Panorama als "Lernmaschine"6 ermöglichte dem zeitgenössischen Publikum das Einüben panoramatischen Sehens und zugleich erzeugte es solches Sehen. Die Erfahrung des Horizonts, meint Oettermann, sei zu komplex und zu emotionsbeladen gewesen, als daß sie sich direkt hätte benennen und reflektieren lassen. "Dazu mußte sich erst einen neue, von dieser noch unbegriffenen Erfahrung evozierte Kunstform zwischen die direkte Erfahrung und das Begreifen dieser Erfahrung schieben." Erst das Panorama soll diese Erfahrung in ihrer ganzen Komplexität adäquat in eine künstlerische Form umgesetzt zu haben, "um so in einer Art erster Abstraktion das Begreifen möglich zu machen."7 So ist es folgerichtig, daß ein terminus technicus der neuen Kunstform und der damit einhergehenden Weise der Erfahrung den Begriff lieferte: Panorama.

 


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 1 Oettermann, 1980, S. 12.
Oettermann vertritt die Ansicht, in der Kunstform des Panoramas könne der panoramatische Blick geübt werden, das Panorama sei die Antwort der Kunst auf die Entdeckung des Horizonts. "Im Rundgemälde etabliert sich das Erlebnis des Horizonts als Kunstform; indem es so an Dauer gewann, wurde das Panorama zur Schule des Blicks, zum optischen Simulator, in der der extreme Sinneseindruck, das sensationelle, weil ungewohnte Erlebnis immer wieder und wieder geübt werden konnte, bis es zur Selbstverständlichkeit und zum alltäglichen Bestandteil menschlichen Sehens wurde. Geprägt vom panoramatischen Blick beginnt das Panorama den panoramatischen Blick zu prägen. So wird es zum Muster, nach dem sich von nun an die Seherfahrungen organisieren." (Oettermann, 1980, S. 19.)

2 Brock, 1995, S. 71.

3 Brock, 1995, S. 71.

4 Boehm, 1969, S. 36.

5 Oettermann, 1980, S. 18.

6 "Das Panorama ist mehr als nur ein ästhetisches Pendant einer Naturerfahrung, es ist ein optischer Simulator, in dem diese Naturerfahrung geübt werden kann: eine Lernmaschine und ein Surrogat." (Oettermann, 1980, S. 12.)

7 Oettermann, 1980, S. 19.


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