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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Impressionismus

 

Crarys und Hausers Äußerungen umreißen die theoretischen Voraussetzungen des Impressionismus und zugleich den wesentlichen Einwand gegen ihn. Die von den Impressionisten angestrebte "reine Wahrnehmung", bemerkt Max Raphael, enthalte nicht die Realität des Objekts.1 Deshalb bestimmt Raphael 1913 den Impressionismus als "eine völlige Nivellierung des Inhalts ... auf ein Mittleres, auf ein Unbedeutendes, Belangloses; eine Nivellierung nicht nur des Stoffs, ... sondern vor allem des Gehalts".2 Solcher Mangel an Gehalt resultiere daraus, daß "alle jene Gefühle [fehlen], die sich allein aus dem Dualismus von Subjekt und Objekt und aus der Forderung einer zu schaffenden Einheit herleiten: das Pathos und das Erhabene. Es fehlt aber auch jene Mannigfaltigkeit von Beziehungen, die über das individuelle Ich in größere Zusammenhänge hinausweisen: das Religiöse und das Soziale."3 Aus all diesen Mängeln heraus konstatiert Raphael, die impressionistische Daseinsempfindung sei unreflektiert, und er kommt zu dem vernichtenden Schluß, dem Impressionismus sei keinerlei schöpferische Kraft zuzuschreiben.

Raphael steht mit seinem Urteil nicht allein. Arnold Hauser kam vierzig Jahre später zu einem ähnlichen Urteil: "Eine Welt, deren Erscheinungen sich stets ... verändern, erzeugt den Eindruck eines Kontinuums, in dem alles zusammenfließt und in dem es keine anderen Unterschiede gibt als die verschiedenen Einstellungen und Gesichtspunkte des Beschauers. Eine dieser Welt angemessene Kunst wird ... im Menschen nicht nur einfach das Maß der Dinge erblicken, sondern im hic et nunc des Individuums das Kriterium der Wahrheit suchen... Der Primat des Augenblicks ... bedeutet ästhetisch ausgedrückt die Herrschaft der Stimmung über das Leben ... Es äußert sich in dieser Stimmungshaftigkeit der künstlerischen Darstellung zugleich eine grundsätzlich passive Haltung dem Leben gegenüber, ein Sichabfinden mit der Rolle des Zuschauers, des rezeptiven und kontemplativen Subjekts, ein Standpunkt der Distanzhaltung, des Zuwartens, des Nichtengagiertseins - mit einem Wort, die ästhetische Attitüde schlechthin. Der Impressionismus bedeutet die äußerste Konsequenz der romantischen Verzichtleistung auf ein praktisch tätiges Leben."4

Nach Hauser bringt die impressionistische Methode eine Reihe von Reduktionen, Beschränkungen und Vereinfachungen mit sich. Sie beschränkt die Darstellung auf die Visualität und eliminiert alles, was nicht optischer Natur ist. Sie verzichtet auf alle literarischen Elemente. Sie reduziert die darzustellenden Motive auf Landschaften und Stilleben - bzw. faßt alle Sujets stillebenhaft auf. Farben zeigt der Impressionismus nicht gegenstandsgebunden, sondern als abstrakte Phänomene. "Man kann diese Versachlichung und Neutralisierung der Motive als den Ausdruck der antiromantischen Gesinnung der Zeit auffassen und in ihr die vollständige Entheroisierung und Trivialisierung der künstlerischen Gegenstände erblicken, man kann sie aber auch als eine Entfernung von der Wirklichkeit betrachten und die Beschränkung der Malerei auf 'arteigene' Sujets als einen Verlust vom naturalistischen Standpunkt ansehen."5 Deutlich geht aus Hausers Äußerungen hervor, daß er 'Wirklichkeit' nicht im Helmholtzschen Sinne als das, was 'wirkt' begreift, sondern als das, was im wiedererkennenden Sehen an Wirklichkeitskonstrukten bestätigt wird.

Raphael konstatierte, daß in impressionistischen Spätwerken noch von der Wirklichkeit der Sinnesdaten abgesehen werde und die Dinge zugunsten der Atmosphäre zurückträten: "Man steigert absichtlich, um diese in einer über die Natur hinausgehenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Unter dem Einfluß der Japaner befreit man sich allmählich überhaupt von der gegenständlichen Struktur, um an ein und demselben Gegenstand die allmählichen Veränderungen der Atmosphäre um so deutlicher darstellen zu können." Das Ganze nähert sich immer mehr einer stofflosen Vision. "Der Gesang der Welten in verzückten Sinnen, das ist ein später Monet oder Rodin. Daß der Weg in der Vision endete, kann uns nicht wundern, da wir gesehen haben, daß der Impressionist dank seiner Negierung des Dualismus von Subjekt und Objekt vom letzteren nur seinen Schein erfaßte. Damit war die Einheit, die er im Werk erreichte, dazu verdammt, eine stoffliche zu bleiben ...: in sich unlebendig. Das Wesen des Geistes ... hat die impressionistische Malerei ... nicht zu finden gewußt und damit innere Lebendigkeit und Eigenproduktivität nicht erreichen können. Die Einheit im Werk ist von vornherein keine Organisation aus den Gesetzen des Geistes und der Materie, sondern eine materiale Vereinigung derselben und als solche dem Prozeß der Formbildung entgegengesetzt".6

Raphaels und Hausers Bestimmungen des Impressionismus stehen hier beispielhaft für die Formulierung einer grundsätzlichen, als Verlust benannten Abwesenheit vom Begrifflichen - und damit von allem Geistigen schlechthin. Solche Formulierungen stehen in der Tradition eines abendländischen Denkens und Philosophierens, das an der Aufschlußkraft des Sehens für das Erkennen zweifelt. Sie schließen an den entscheidenden Einwand gegen das Sehen an, der besagt, daß wahres Erkennen vornehmlich den Augen des Geistes vorbehalten sei. Das Geistige wird als Grundlage der abendländischen Kultur angesehen, auf ihm beruht die Möglichkeit praktisch tätigen Lebens. Dabei entgeht solch eurozentristischer Sichtweise, daß das Bemühen um ein 'sehendes Sehen' mit großer Anstrengung verbunden ist, die nicht etwa mündet in 'Distanzhaltung' und 'Nichtengagiertsein', sondern im Gegenteil sich um den Abbau von Distanz gegenüber den Phänomenen bemüht. Eine Sichtweise dagegen, die in der impressionistischen Daseinshaltung Beschränkung und Mangel sieht, orientiert sich am Utilitaristischen und Zweckmäßigen. Doch kann die Abwesenheit von Zweckmäßigem positiv gewendet werden - als Anwesenheit eines erweiterten Sehvermögens. Darum hat sich Monet bemüht. Aus vielen Briefen geht hervor, welche Anstrengung ihn das gekostet hat - abgesehen von den physischen Gewaltakten, die Monet sich im hohen Alter für die Herstellung der großen Seerosentafeln abverlangte.


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1 Raphael, 1913, S. 92.

2 Raphael, 1913, S. 97.

3 Raphael, 1913, S. 99.

4 Hauser, 1953, S. 931.
Hausers Standpunkt ist historisch nicht überholt. Bernhard Kerber bedient sich in seinem Aufsatz "Bild und Raum - zur Auflösung einer Gattung" (1981) der zitierten Argumentation Hausers zur Gesamtdeutung von Monets Nymphéas.

5 Hauser, 1953, S. 933.

6 Raphael, 1913, S. 101f.


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