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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Monet und erweiterte Wahrnehmung

 

Baudelaire hat - darin steht er ganz in der abendländischen Tradition - den Haschischrausch wegen seiner Künstlichkeit abgelehnt. Vor allem mißbilligte er die Mühelosigkeit, mit der man in den Zustand der Entzückung gerät. Alles was durch die 'schwarze Magie' der Drogen erreicht werden könne, meint Baudelaire, erfahre das Genie durch Arbeit und Versenkung.1 Dieses Vermögen des Künstlers beschreibt Paul Valéry so: "Die Beobachtung des Künstlers kann eine fast mystische Tiefe erreichen. Die erhellten Gegenstände verlieren ihren Namen: Schatten und Helligkeit bilden Systeme und ganz besondere Probleme, die keinem Wissenschaftsbereich angehören, die sich auf keinerlei Praxis beziehen, die aber ihre ganze Existenz und ihren Wert von bestimmten eigentümlichen Übereinstimmungen zwischen der Seele, dem Auge und der Hand einer Person empfangen, die dazu geboren ist, sie in sich selbst zu finden und sie sich schöpferisch zu eigen zu machen."2 Der künstlerisch tätige Mensch unterscheidet sich von den gewöhnlichen Berauschten und den normalen Alltagsmenschen weniger durch ein besonderes physiologisches Vermögen, als durch eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber Empfindungen und darin, daß er die Dinge weniger als nutzbare Gegenstände denn als erscheinende Phänomene betrachtet. Uns gelingt "im täglichen Leben ... nur dann und wann ein Blick auf die Welt in ihrer wirklichen Erscheinungsform, in der Identitäten von ihren Bindungen losgelöst sind und frei schweben - etwa, wenn wir gerade aus dem Schlaf erwachen und der Raum um uns herum wie eine Armada namenloser Farbflecken in unser Blickfeld treibt. Solche Augenblicke rufen unfehlbar Erinnerungen an die früheste Kindheit hervor, Erinnerungen an einen traumähnlichen Seinszustand, in dem, so scheint es, die Grenze zwischen 'hier' und 'dort draußen' nur vage umrissen ist. Man könnte es einen Zustand der Unschuld oder wenigstens der Unverantwortlichkeit nennen. Ein solcher Zustand entsteht von selbst, plötzlich befinden wir uns darin. Aber wenn sich ein Künstler in diesen Zustand begibt, tut er es bewußt, mit Disziplin und ständiger Übung, was nichts träumerisches an sich hat. Er ist ein scharfäugiger Spezialist auf dem Gebiet des Unbestimmten, zu dieser Art von Regression jederzeit nach Belieben fähig."3

Im Zusammenhang mit Monets Äußerungen und den Beobachtungen über Rauschzustände im weiteren Sinne kann man von einer dem Utilitaristischen gegenüber erweiterten Wahrnehmung sprechen. Der in den Empfindungsorganen angelegte Wahrnehmungsüberschuß - es wird mehr aufgenommen als bewußt verarbeitet werden kann - führt bei Vernachlässigung kognitiver Elemente tendenziell zu einem unzensierten Blick. Monet betrachtete nicht nur die Natur mit gesteigerter Aufmerksamkeit, sondern auch sein eigenes Tun: die malerische Organisation und Ausführung seiner Bilder, in die er solche Wahrnehmung einschrieb.


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1 "Diese Unglücklichen, die weder gefastet noch gebetet haben und die Erlösung durch die Arbeit von sich wiesen, fordern von der schwarzen Magie die Mittel, um sich mit einem einzigen Schlag in die übernatürliche Existenz zu erheben. Die Magie aber betrügt sie und entzündet für sie ein falsches Glück und ein falsches Licht, während wir, Dichter und Philosophen, unsere Seele durch fortwährende Arbeit und Versenkung neugeboren haben. Durch die beharrliche Übung des Willens und die stete Lauterkeit der Absicht haben wir für uns einen Garten von wahrhafter Schönheit geschaffen. Dem Wort vertrauend, wonach der Glaube Berge versetzt, haben wir das einzige Wunder verrichtet, zu welchem Gott uns die Befugnis gab." (Baudelaire, 1860, S. 277.)
Die Haupteinwände gegen Haschisch und andere Rauschdrogen sind deren künstliche Wirkung und ihre Schädlichkeit. Die Schädlichkeit wird meist übertrieben, die Künstlichkeit der Wirkung ist angesichts der vielen Parallelen zu Vorgängen, die im Gehirn von alleine ablaufen, konstruiert. Auffällig ist beispielsweise, daß synästhetische Erscheinungen heute oft als besondere Begabung betrachtet werden ("Je mehr Menschen den Mut haben, sich zu ihrer Begabung zu bekennen, desto mehr werden wir über diese faszinierende Seite der Wahrnehmung und damit letztlich über uns selbst erfahren. Lange, 1996.), physiologisch ganz ähnliche, durch Rauschdrogen herbeigeführte Zustände aber als pathologisch und gesellschaftlich inakzeptabel gelten.

2 Valéry (Pièces sur l'Art, Paris, 1934), zit. nach: Hoog, 1984, S. 91.

3 Gordon/Forge, 1985, S. 56.

 


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