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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Holographische Erscheinung und Parallaxe

 

'Nirgendwo', das ist kein Ort, das wissen wir. Boissonnet stellt die Worte in einen holographischen Raum, in dem sie wie greifbar erscheinen. Die räumliche Wirkung der Worte und des Globusses beruht im menschlichen Wahrnehmungsapparat hauptsächlich auf der Parallaxe (griech. Veränderung). Sie ist entscheidender als Akkommodation und Konvergenz für die Beurteilung räumlicher Tiefe. Die Wirkung der Parallaxe ist auf einem Gemälde nicht darstellbar, denn sie ist raumzeitlicher Natur. René Prédal schreibt im Katalog von 1993, die Metamorphosen der Kontinente in Galileo erinnerten an Anamorphosen oder an jene Gemälde, in denen der Blick der gemalten Person dem Betrachter ständig zu folgen scheine. Tatsächlich beruht dieser Effekt auf dem Fehlen der Parallaxe, denn man sieht gemalte Augen - und die Landkartenlandschaft im Stereogramm - immer von derselben Seite. Das Gehirn deutet den Vorgang so, als würden die Augen sich mitbewegen, während wir am Bild vorübergehen. Mit holographischen Stereogrammen kann Parallaxe mittels Kamerafahrten simuliert werden, bei holographischen Erscheinungen dagegen sehen wir die holographierten Objekte, analog den alltäglich vertrauten Dingen, mit voller Parallaxe.

Die Parallaxe beruht im wesentlichen darauf, daß uns die beiden etwa 6,5 cm voneinander entfernten Augen von allem immer zwei etwas unterschiedliche Ansichten zeigen. Der Unterschied zwischen beiden Ansichten liefert eine Möglichkeit, die Entfernung zum gesehenen Objekt zu bestimmen. "Unser Gehirn versucht, die beiden Ansichten dadurch in Übereinstimmung zu bringen, daß es ihnen verschiedene Tiefen zuschreibt."1 Entscheidend ist die raumzeitliche Dimension, denn während wir an Objekten vorübergehen, ändern sich ihre Ansichten ständig. Unser Gehirn interpretiert das als relative Position der Objekte zu uns im Raum, denn die Erfahrung zeigt, daß die Objekte ihre Form behalten (wir wissen, ein Tisch ist rechteckig, auch wenn seine wechselnden Ansichten sich als verschieden geformte Trapeze im Auge abbilden). Im holographischen Raum verhält es sich genau so. Bewegt man sich im Raum, verändern sich die Ansichten der Dinge. Bewegt man sich vor dem Hologramm in Galileo, ziehen Worte vorüber, und man glaubt, um den aufgeblasenen Globus herumgehen zu können. Doch holographische Erscheinungen lösen derartige Erwartungen nicht ein, denn ihre Betrachtungswinkel sind eingeschränkt, und die interaktive Beleuchtungseinrichtung in Galileo verhindert eine nahe Betrachtung der Repräsentationen. Sie bleiben analogiehaft in jener Distanz, aus der sie als mentale Repräsentationen erdacht und erstellt wurden.


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1 Falk u.a., 1990, S. 222.
Sieht man ein räumliches Objekt, gibt es Teile, die auf beiden Netzhäuten relativ gleich abgebildet werden, andere werden auf jeder Netzhaut verschieden abgebildet. Einige Zellen im Sehzentrum der Hirnrinde reagieren am stärksten, wenn die entsprechenden Netzhautzellen gleichzeitig angeregt werden, andere reagieren am stärksten auf Unterschiede in der Lage der beiden Netzhautreize. Dieser Unterschied in der Reaktion führt zu der Wahrnehmung, daß die Objekte auf verschiedenen räumlichen Ebenen liegen.


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