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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Ambivalenz des Motivs und die Folgen für die Rezeption

Die Ambivalenz zwischen der Bildwahrnehmung, die die Rezeption des Stereogramms bestimmt und der Objektwahrnehmung, die die Rezeption des Globusses und der Worte bestimmt, die Ambivalenz der An- und Abwesenheit der holographischen Erscheinung, die den Hologrammen eigen ist, scheint auch im Motiv auf. Buci-Glucksmann hält den Globus deshalb für ambivalent, weil er eine Figur des Wissens über die Welt ist, in der die Welt abwesend ist. Der "Erfassung der Welt in ihrem anwesend-abwesenden Ganzen und ihrer reflektierenden Oberfläche begegnet man im kartographischen Blick... Das perspektiv- und ortlose Auge bemächtigt sich der Welt."1 Karten und Globen zeigen die Welt aus der Vogelperspektive (auch: Kavalier- oder Militärperspektive), die "ein dem Bild unendlich entrücktes Auge voraussetzt."2 Im virtuellen Projektionsraum kann die Unsichtbarkeit des Ganzen in die Sichtbarkeit einer Ebene eingeschrieben und die Welt auf eine Fläche reduziert werden.

Es gehört zur Ambivalenz des galileischen Blicks, daß er die Welt in ein geordnetes Schema überführt, und daß in ihm zugleich die Relativität aller Standpunkte deutlich wird. In Galileo wird die Relativität von Standpunkten verdeutlicht durch die raumzeitliche Bewegung in der interaktiven Installation und der daraus resultierenden Veränderung des Wahrnehmungsangebots. Boissonnet überträgt das auf Kommunikationsstrukturen, deren Beweglichkeit und Relativierung in ideologischer Hinsicht er postuliert: "In der Konsequenz legt die Struktur den Gedanken nahe, daß wir all die subjektiven Standpunkte überschreiten sollten, die von verschiedenen Individuen eingenommen werden. Wir haben es hier, in gewissem Sinne, mit menschlicher Kommunikation zu tun. Wir bieten keine Lösung an, wir schlagen einfach eine Weise der Mobilität vor: physisch und mental, und in letzter Konsequenz eine ideologische Relativierung der ganzen Bandbreite von Gesichtspunkten."3 Die Körper der Betrachter stellt Boissonnet vor die reine Erscheinung des konstruierten kartografischen Raums. Dieser abstrakte Gehalt ist in Galileo mit der alltäglichen Wahrnehmung der Welt verbunden. So werden Erfahrungen möglich, die, neben der Reflexion des kognitiven Angebots, die Betrachter auf ihre Befindlichkeit in der Welt verweisen: "Neben dem Wunsch, Galileo meine Hochachtung auszudrücken, war meine Intention, mit diesem Werk etwas zu betonen, das in unserer täglichen Wahrnehmung sehr offensichtlich ist, dem wir aber normalerweise wenig Aufmerksamkeit schenken: 'Ich bin hier und ich sehe nach dort, aber wenn ich dort bin, hat sich mein Hier und Jetzt verändert zu meiner Vergangenheit und zu einem Dort'."4 Indem Boissonnet bei dem anknüpft, was wir zu wissen glaubten und zugleich darüber hinausführt, ermöglicht er eine geschärfte Sensibilität für die Wirklichkeit, in der wir immer schon sind und über deren Konditionierung wir uns normalerweise wenig Gedanken machen.

Seinen Gedanken - für das Hier und Jetzt zu sensibilisieren - führt Boissonnet fort in eine zunächst überraschende Richtung: "Der Körper, der wahrnimmt und sich bewegt muß a priori annehmen, daß die Weise, in der ich die Welt jetzt wahrnehme hypothetisch von dem durchtränkt ist, oder vor-getränkt sein sollte, was ich in Kürze wahrnehmen werde, wenn ich dort bin. Mit anderen Worten: Die Welt, wie ich sie von dort aus sehe, ist nicht so wie sie ist, sondern so, wie sie zu sein scheint. Diese Welt ist räumlich und zeitlich in Verbindung mit mir. So bewegen wir uns auf ein Konzept zu, das ähnlich ist der Photonentheorie des Lichts".5 Derartige Verbindungen zu ziehen scheint ebenso gewagt wie Roters' Annahme, daß die Holographie als Illusion eines Bildphänomens ohne Träger in einem a-perspektivischen Raum stünde, in einer "Raumkonstellation, innerhalb welcher Außenraum und Bewußtseinsraum eins zu werden beginnen."6 Die Betrachtung von Philippe Boissonnets interaktiven Installation 'In-Between' und die Verfolgung der mit diesem Werk ausgelegten Spuren zum holographischen Universum soll den Zusammenhang von Boissonnets Vermittlungsabsichten und den von ihm und Roters angedeuteten physikalischen und philosophischen Hintergründen erhellen.


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1 Buci-Glucksmann, 1996, S. 50.

2 J. Ozanam, cours de mathématique nécessaire à un homme de guerre (1693), zit. nach: Buci-Glucksmann, 1996, S. 27.

3 "Consequently, this structure suggests we should be transcending all the subjective viewpoints adopted by different individuals. We are, in some sense, dealing here with human communication. We are not, however, offering a solution, but simply suggesting an attitude of mobility: both physical and mental, and consequently, an ideological relativization of the whole range of points of view." (Boissonnet, 1996, S. 7f.)

4 "In this piece of art, my intention, beside paying hommage to Galileo, has been to emphasize something which is quite obvious in our daily perception of the outside world, but to which we are usually not very attentive: 'I am here and I am looking over there, but when I am over there, my Here and Now will have changed into my 'past and over there'." (Boissonnet, 1996, S. 7.)

5 "The body that perceives and displaces itself in space must a priori assume that the manner in which I perceive the world now is hypothetically impregnated, or should be pre-impregnated, with what I will perceive in a short while, once I am over there. In other words, the world as I see it, seen from there, is not such as it is, but as it appears to be. This world is spatially and temporally in a relationship with me. Thus we are moving towards a concept similar to that of the photonic theory of light". (Boissonnet, 1996, S. 7.)

6 Roters, 1984, S. 350.


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