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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Der immaterielle Flimmerraum und seine Wirkung

 

Diese Wahrnehmung, das ist ein Flimmern. Denn die Dekorationselemente bilden nicht plastische Formen aus, die für sich stünden (wie das etwa romanische Plastiken tun), vielmehr reflektieren die nur dafür geschaffenen Formationen, Faltungen und Rundungen das Licht. Die polierten Säulen in ihren Drehungen spiegeln - unterstützt durch goldene Weinranken, die sich um ihre Windungen schlingen. Es spiegelt und strahlt die goldene Fassung der fast immateriell scheinenden Basen und Kapitelle. Es reflektieren die Fensterscheiben der Oratorien, es strahlen die goldenen Ornamente an der Decke, an den Wänden und in den goldenen Höhungen der Darstellungen in den Emblemfeldern.1 Silbern reflektieren die Wolkengebilde seitlich des Hauptaltars, von melodiös strahlender Farbigkeit ist die Reflexion der wolkig marmorierten Säulen mit ihren unzähligen Schattierungen und Einfaltungen. Gelbliche und blaugraue Töne, hellere und dunklere rötliche Erdfarben sind zu finden, und bräunlich-graue Stellen gibt es, auch fast weiße oder schwarze Maserungen (Abb. 19). Farbig strahlen die marmorierten Baluster an den Balkonen. Rotglänzend strahlt es von den Faltenwürfen des Gewandes von Karl Borromäus links am Hauptaltar, golden und silbern von den großflächiger gestalteten Teilen des togaartigen Überwurfs von Ignatius von Loyola rechts 2 (Abb. 20/21).

Die vielfachen Spiegelungen und die farbigen Reflexe an den goldenen und polierten Oberflächen - die als 'Nichtfarben' schon allein ein besonderes Verhältnis zum Licht anzeigen - erzeugen einen Raum, der in ganz anderer Weise wirkt als die dargestellten visionären Räume in den Fresken. Dieser Raum entsteht durch die Affektion der Sinne, als visuelle und raumkörperliche Ansprache. Der gebaute, architektonische Raum wird durch die vielfachen Spiegelungen erweitert in mehrfachem Sinne. In physikalisch-optischem Sinne entstehen virtuelle und reelle Bilder an den konkav und konvex gekrümmten und gebogenen Flächen. Der Widerschein läßt die Oberflächen durchlässig werden und lichthaft.3 Die Bilder werden, da die Oberflächen nicht plan sind, zurückgeworfen wie von Zerrspiegeln.4

Die uneindeutigen Orte der sich vielfach überlagernden Reflexe irritieren die Sinne. Es fällt schwer, die Formationen als feste und feststehende Körper zu erfassen. Es gibt hier, im Sinne einer Informationsübermittlung, nichts zu erkennen und nichts abzulesen. Vielmehr verdichtet sich der flüchtige, leichte und lichte Schein der Oberflächen, zu einem beweglichen und bewegenden Raum. Über die Affektion ihrer Sinne nehmen die Betrachter an solcher Bewegung teil. In der Tendenz ist diese Bewegung unendlich, denn schon von einer Stelle aus betrachtet ändert sich der Anblick von allem fortwährend. Durch die wechselnde Beleuchtung von außen, in der sich das Verhältnis von Glanz und gedämpfter Farbigkeit subtil ändert (je dunkler es ist, desto mehr tritt, physiologisch bedingt, das Farbige ins Grau zurück und das Glänzen hervor).5 Und die Anblicke ändern sich durch den Wahrnehmungsprozeß, indem sich Sinneseindrücke vielfach überlagern und beeinflussen. Bleibt man länger im Raum und überläßt sich den Sinnesempfindungen, führt das Flimmern dieses irreal erscheinenden Lichtraums bald zu einem leichten, nicht unangenehmen sondern beglückenden Schwindelgefühl, das die gewohnte, utilitaristische Weise der Weltwahrnehmung durchbricht.


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1 Die Emblemfelder sind die einzigen Elemente im Pilasterbereich, die in einem zarten Gelb gehalten sind. Das sei, erzählte Schwester Judith Reis, ein Zugeständnis der Restauratoren an die Schwestern gewesen, die die Entfernung der bunten Bemalung, die dem 19. Jahrhundert entstammte, sehr bedauert hätten.

2 Die linke Altarfigur stellt Karl Borromäus, Erzbischof und Kardinal von Mailand dar. Borromäus war ein Förderer des damals noch jungen Ursulinenordens. Die rechte Altarfigur stellt Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens, dar, der eine Erneuerung der Christenheit vor allem durch die Erziehung der Jugend herbeiführte.

3 Hans Sedlmayr schreibt in: Das Licht in seinen künstlerischen Manifestationen: "Das reine Licht 'informiert' die Materie. In dem Maße wie es sie durchdringt, wird die Materie lichthaft und unbegrenzt ausdehnungsfähig, in dem Maße werden alle Körper feiner, leichter, subtil einfacher, glänzender". (Sedlmayr, 1960, S. 36.)

4 Bedingt durch die Widersprüchlichkeit von Oberfläche und Tiefe, schreibt Martin Jay, sei jeder Versuch, die Vielfalt barocker Räume auf ein kohärentes Wesen zu reduzieren sinnlos. "Der Spiegel, den er der Natur entgegenhält, ist nicht die plane Scheibe, ... sondern der anamorphe, konkave oder konvexe Reflektor, der ein Zerrbild der 'normalen' Ansicht liefert." (Jay, 1992, S. 189.) Der Zerrspiegel fungiert als Hinweis auf die materiale Beschaffenheit des reflektierenden Mediums und entlarvt den konventionellen Charakter der vermeintlich natürlichen Widerspiegelung. Aufgrund dieser gesteigerten Sensibilität für die materiale Beschaffenheit "besitzt die barocke Seherfahrung eine stark taktile oder haptische Qualität, die sie gegen den absoluten Okulozentrismus des Cartesianischen Perspektivismus feit." (ebd.)

5 Der Raumeindruck und der Zusammenhang der Dekorationselemente ändert sich wesentlich im auch in Straubing installierten Kunstlicht. Während das Tageslicht die Altäre farbig in den Gesamtraum einbindet, zerfällt der Raum im Kunstlicht, das zudem aus verschiedenen Beleuchtungsarten und mithin Farbtemperaturen zusammengesetzt ist, zu einem Eindruck von tendenziell isoliert nebeneinanderstehenden Einzelelementen.


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