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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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LICHTER  SCHEIN

Die Klosterkirche St. Ursula in Straubing von
Cosmas Damian und Egid Quirin Asam

 

                                    Nicht, daß er eintrat, aber daß er dicht,
                                               der Engel, eines Jünglings Angesicht
                                               so zu ihr neigte; daß sein Blick und der,
                                               mit dem sie aufsah, so zusammenschlugen
                                               als wäre draußen plötzlich alles leer
                                               und, was Millionen schauten, trieben, trugen,
                                               hineingedrängt in sie: nur sie und er;
                                               Schaun und Geschautes, Aug und Augenweide
                                               sonst nirgends als an dieser Stelle -: sieh,
                                               dieses erschreckt. Und sie erschraken beide.
                                               Dann sang der Engel seine Melodie.

                                                                                    R.M. Rilke
                                                                                    Mariae Verkündigung

 

 

Die Klosterkirche St. Ursula in Straubing ist das letzte Gemeinschaftswerk der Brüder Asam - des Malers Cosmas Damian Asam und des Architekten und Stukkateurs Egid Quirin Asam. Der Ursulinenorden hatte 1691 in Straubing ein Kloster mit einer Bildungsanstalt für Mädchen gegründet. 1736 konnte die damalige Oberin Maria Magdalena von Empach die Brüder Asam für den Bau einer Klosterkirche gewinnen. Egid Quirin Asam schrieb am 26. Oktober 1736 an die Oberin, daß er und sein Bruder 'ein freidt haben ein schone Kirchen zu bauen und zu ziern'. So steht es heute am Eingang der Kirche. Architektur und Stukkatur stammen von Egid Quirin Asam, Fresken und Altarbilder von Cosmas Damian Asam. Teile der Fresken und Bilder wurden von Egid Quirin vollendet, denn Cosmas Damian starb 1739, noch vor der Vollendung des Baus 1740. Die Kirche wurde 1741 - wie zuvor bereits das Kloster - der Unbefleckten Empfängnis Marias geweiht.1 Die Unbefleckte Empfängnis bildet zusammen mit der Legende der Ordensheiligen Ursula das zentrale Thema des Ausstattungsprogramms und im weiteren Sinne der Ausgestaltung des gesamten Kirchenraums. Um letztere soll es hier vornehmlich gehen.

Im Eingang des Kapitels gebe ich eine kurze, charakterisierende Beschreibung des Phänomens, um dann hinsichtlich rezeptionsästhetischer Analyse den Kontext des Werks zu erläutern. Im Anschluß beschreibe ich den barocken Kirchenraum als Umraumerlebnis. Ausführlich zur Sprache kommen die Elemente, die das Umraumerlebnis konstituieren: die perspektivische Anlage der Gemälde und Fresken und der immaterielle Flimmerraum, den ich als visionäres Lichterlebnis charakterisiere. Die Weise der Erscheinung des Kirchenraums binde ich an ästhetische Theorien der zeitgenössischen Betrachter an: die gegenreformatorische Ästhetik. In welcher Hinsicht das Hauptmotiv in St. Ursula - die unbefleckte Empfängnis - in vielfacher Weise im Kirchenraum thematisiert ist, spiegelt sich im Mythos der 'Geburt der Perle aus dem Blitz', den ich analogiehaft zu ikonologischer Deutung hinzuziehe. Inwiefern Deutungen immer auch von historischer Gegenwart bestimmt werden, erläutere ich an der Geschichtlichkeit des Barockbegriffs. Vor diesem Hintergrund deute ich St. Ursula als Grenzfall zwischen Barock und Rokoko, und suche im Ausgang des Kapitels solche Deutung in dichter Beschreibung zu spiegeln.

 

 

Das Phänomen (dichte Beschreibung)

Ein Lichtstrahl streift, betritt man die Klosterkirche St. Ursula an einem sonnigen Wintertag gegen vierzehn Uhr, eine stuckierte Blume hoch oben im Kirchenraum: Dargestellt ist eine Lilie - Symbol der Unbefleckten Empfängnis Marias -, gehalten von der Hand eines Puttos (Abb. 1). Der Putto stützt sich auf eine silberne Wolke und beugt sich über den Rand der kranzförmigen Bekrönung des Hochaltars. Neben dem Putto schwebt die Stuckfigur des Erzengels Gabriel. Ein rotgoldnes Tuch mit reichem Faltenwurf ist um seine Hüften geschlungen. Der Engel weist mit einer Hand nach oben auf das Auszugsbild Gottvaters, mit der anderen nach unten auf eine lateinische Inschrift über dem Hochaltarblatt: VIRGO SINE LABE.2 Engel und Putto sind als plastisch geformte Figuren Zeichen und verweisen auf die heilige Schrift. Zugleich reflektieren sie das einfallende Licht und bilden einen Teil des Gesamtraums, von dem sie, architekturgebunden und farbig gefaßt, nicht isolierbar sind. Hier über dem Altar kulminiert und verdichtet sich in der Verbindung und Verflechtung disparater Gestaltungselemente die Weise, in der der gesamte Raum gestaltet ist. Schrift, Bild und Plastik sind nicht einem Raum eingefügt. Sie bilden ihn aus im einfallenden Licht.3


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1 Das Kloster war 1693 der Unbefleckten Empfängnis geweiht worden - 150 Jahre vor Definition des Dogmas 1854 unter Papst Pius IX.

2 Lat.: Jungfrau ohne Makel.

3 Martin Heidegger wies in "Die Kunst und der Raum" auf die weitreichenden Folgen solchen Raumverständnisses: "Die Frage regt sich: Sind die Orte erst und nur das Ergebnis und die Folge des Einräumens? Oder empfängt das Einräumen sein Eigentümliches aus dem Walten der versammelnden Orte? Träfe dies zu, dann müßten wir das Eigentümliche des Räumens in der Gründung von Ortschaft suchen, müßten die Ortschaft als das Zusammenspiel von Orten bedenken. Wir müßten darauf achten, daß und wie dieses Spiel aus der freien Weite der Gegend die Verweisung in das Zusammengehören der Dinge empfängt. Wir müßten erkennen lernen, daß die Dinge selbst die Orte sind und nicht nur an einen Ort gehören." (Heidegger, 1969, S. 10f.)


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