Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Kontext: Kloster und Kirche St. Ursula

 

St. Ursula ist als Klosterkirche in die Gesamtanlage des Ursulinenklosters integriert (Abb. 3). Aufgrund der engen Umbauung ist der architektonische Körper stets nur teilweise sichtbar. Selbst die in die Gebäudeflucht integrierte Frontfassade ist von der schmalen Burggasse aus nicht überschaubar. An der Westseite schließen rechts und links die Raumfluchten des Gymnasiums der Ursulinen an; auf der Höhe des ersten Stocks befindet sich, zwischen Westempore und Fassade, ein schmaler Durchgang, der die beiden Gebäudeflügel verbindet. Von Westen gesehen links schließt das Wohnhaus der Schwestern an die Kirche an. Unter der Kirche liegt die Gruft des Klosters, in der heute noch die Schwestern bestattet werden. Deutlicher wird die enge Verbindung zwischen Kloster und Kirche im Innenraum. Links neben dem Hauptaltar befindet sich, durch ein Fenster an den Altarraum angebunden, der Gebetsraum der Schwestern. Ein zweites, blindes Fenster befindet sich gegenüber auf der rechten Seite (Abb. 2, Abb. 4). Auf die Verbindung von Kirche und Klausurgebäude der Schwestern weisen Oratorien, die auf zwei Etagen zwischen Hauptaltar, Seitenaltären und Westempore angebracht sind. Sie sind unten als halbrund sich vorwölbende Balkone ausgebildet und oben als logenartige, verglaste Gebilde mit Stuckdraperien an den Fensterbrüstungen (Abb. 5).

Der nicht sehr große Kirchenraum - die Baufläche beträgt 20 m in der Breite und 26 m in der Tiefe;1 die lichte Höhe der Kirche ist gleich ihrer Breite von 18,8 m - ist symmetrisch, doch in barocker Kompliziertheit angelegt. An die Stelle einfacher geometrischer Formen, wie sie die Architektur der Hochrenaissance kennzeichnen, "treten im Barock Raumgebilde, deren einzelne Elemente miteinander verschmolzen sind und die sich einer klaren Anschauung und deshalb auch einer exakten Definition entziehen."2 In Straubing ist der Kernraum des - queroval erscheinenden - Zentralbaus über einem Kreis gestaltet, der durch vier konkav geschwungene Wandstücke mit Pilasterpaaren markiert ist (in diesen Wandstücken liegen die Oratorien). Dem Kernraum sind, ihn anschneidend, in den Hauptachsen vier ovale Räume angeschlossen: die Eingangshalle im Westen, die beiden Seitenaltarräume im Süden und im Norden und der Hauptaltarraum im Osten (Abb. 6, Abb. 7). Eine böhmische Kappe überwölbt den Zentralraum, flache Halbkuppeln befinden sich über den Querarmen und dem Chor, ein Tonnengewölbe schließt die Westempore nach oben ab. Drei große Fenster öffnen die Westfassade für das einfallende Licht des sehr hell konzipierten Raums.3 Der Obergaden über den Seitenaltären und im Chorraum zu beiden Seiten des Hochaltars ist durchfenstert mit gewölbten Laibungen, die das einfallende Licht reich modulieren.
Auf das eindringende Licht hin ist die dekorative Ausstattung der Kirche konzipiert und gestaltet. Und Licht, dargestelltes Licht, ist ein Hauptmotiv der Fresken im Zentralraum, über dem Hauptaltar und im Tonnengewölbe über der Westempore. Das Licht verbindet Elemente, die strukturell verschieden sind, und die in ihrer differenten Ausformung - als illusionistische Malerei, als farbig gefaßte Stuckplastik, als Schrift und als Innenraum - verschiedene Lesarten nahelegen: kognitiv les- und deutbare und erlebnismäßig erfahrbare. Dergestalt stellen die Ausformungen als Vermittlungsstrategien verschiedenartige Erfahrungs- und Lernpotentiale bereit. Die verschiedenen Vermittlungsstrategien und die dadurch nahegelegten verschiedenen Lesarten verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung und beleuchten von verschiedenen Gegenden her das zentrale Thema: die Unbefleckte Empfängnis.


Home

Inhalt

Weiter


 

1 Die Größe der Kirche ist durch die historischen Begrenzungen des Klosters bedingt. (Vgl. Huber, 1991, S. 143f.)

2 Landolt, 1956, S. 100.

3 Das mittlere und größte der drei Fenster wird heute durch den Einbau einer neuen Orgel im Jahre 1867 fast vollständig verdeckt. Ein Umbau anläßlich der Gesamtrenovierung der Kirche in den Jahren 1979-83 scheiterte, wohl aufgrund der Größe der Orgel. Sie wurde lediglich etwas tiefer und leicht nach hinten gesetzt, um den Lichteinfall zu verbessern. (Vgl. Weber, 1997, S. 4) Um die Orgel vor Witterungseinflüssen zu schützen ist das Fenster mit einem lichtundurchlässigen Hitze- und Kälteschutz versehen.


Home

Inhalt

Weiter